„Genetisch betrachtet sind die Kinder Halbgeschwister“ (2024)

Forscher Andreas Busjahn über die Babys von eineiigen Zwillingen

Zwillingsforscher Dr. Andreas Busjahn betreibt seit dem Jahr 2003 die Plattform HealthTwist. In Studien hat der Psychologe die Daten von über 1700 Zwillingspaaren zusammengetragen. Seine Forschungsergebnisse nutzt er in der Humangenetik. Wir sprachen mit ihm über parallele Schwangerschaften von Zwillingen, was diese für die Kinder und die Partner bedeuten und unter welchen Umständen die Bindung von Zwillingspärchen ein Leben lang hält.

Berliner Morgenpost: Passiert es häufig, dass Zwillinge gleichzeitig schwanger werden?

Andreas Busjahn: Es passiert gar nicht so selten, dass Zwillingsschwestern versuchen, sich zeitlich abzustimmen, um ungefähr zur gleichen Zeit schwanger zu werden. Gerade diejenigen mit einem sehr engen Verhältnis haben den Wunsch, auch eine Schwangerschaft und die Mutterschaft gemeinsam zu erleben. Stichwort: Doppelhochzeit. Aber natürlich spielen auch der Partner und der Zufall eine Rolle bei der Planung.

Inwiefern hilft ein synchroner Zyklus bei der parallelen Schwangerschaft?

Selbst wenn die Zyklen synchronisiert ablaufen, ist noch längst nicht garantiert, dass beide auch gleichzeitig schwanger werden. Allerdings haben sie die gleichen biologischen Voraussetzungen.

Könnten die Kinder der Zwillingsmütter ihre Mütter verwechseln?

Das nähere Umfeld eineiiger Zwillinge, sprich: der Partner und die Familie, kann die beiden recht gut auseinanderhalten. Vor allem die Eltern geben eigentlich immer an, ihre Kinder problemlos auseinanderhalten zu können. Für die Kinder kann es am Anfang verwirrend sein, quasi zu sehen, dass die Mutter doppelt da ist. Aber selbst wenn das der Fall ist, gewöhnen sie sich recht schnell daran. Interessanter ist eher der biologische Aspekt. Die Kinder von eineiigen Zwillingen sind im Grunde nämlich Halbgeschwister. Sie sind sich genetisch so ähnlich, als hätten sie die gleiche Mutter. Das liegt daran, dass beide Mütter Gene aus exakt dem gleichen Chromosomensatz weitergeben.

Und was passiert, wenn Zwillinge mit Zwillingen in einer Partnerschaft Kinder bekommen?

Rein genetisch gesehen wären die Kinder solcher Paare alle Geschwister.

Ist die Chance als Zwilling tatsächlich höher, auch selbst wieder Zwillinge zu bekommen?

Nach allem, was wir heute wissen, betrifft dies nur zweieiige Zwillinge. Wenn man als Frau ein zweieiiger Zwilling ist, hat man eine deutlich höhere Chance, auch selbst wieder zweieiige Zwillinge zu bekommen. Für männliche zweieiige Zwillinge gilt das aber nicht. Eine Erblichkeit, eineiige Zwillinge zu gebären, scheint es nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht zu geben. Auch wenn man öfters von Familien mit mehreren Zwillingspärchen hört.

Die Partner von Zwillingen fühlen sich gelegentlich angesichts der engen Beziehung der Zwillingsgeschwister zurückgesetzt. Kann das auch dem Nachwuchs so gehen?

Ich kenne diese Aussage tatsächlich von Partnern – vor allem bei Zwillingsschwestern. Gerade bei den eineiigen Pärchen ist die Bindung zwischen den Frauen noch enger als bei den Männern. Der Anspruch eines Kindes ist jedoch ein anderer als der des Partners. Wenn die Mutter schwierige oder weitreichende Entscheidungen erst einmal mit der Schwester anstatt mit dem Partner bespricht, macht das für das Kind keinen Unterschied.

Hält die enge Bindung von Zwillingen ein Leben lang oder kann sie sich „verwachsen“?

Vor allem bei männlichen Zwillingen habe ich beobachtet, dass sie als Kinder zwar eine enge Bindung hatten, sich aber in der Pubertät sehr bewusst voneinander distanzieren. Man kann sich buchstäblich nicht mehr sehen. Man möchte nicht mehr einer von zweien sein, sondern ein „Ich“. Meiner Erfahrung nach gehen aber die meisten nach ein paar Jahren wieder aufeinander zu und haben als Erwachsene wieder ein deutlich engeres Verhältnis. Einige ziehen sogar zusammen und geben sich im Alter Halt.

Man muss also erst sich selbst finden, um einander wiederzufinden?

Gerade wenn man so eng zusammen aufwächst, geht das mit einer immerwährenden Suche nach der Hackordnung einher. Es gibt keinen großen Bruder mit den älteren Rechten. Die Zwillinge sind sich zu ähnlich. Es ist tagesformabhängig, wer der Chef ist. Getrennte Wohnungen und Jobs machen es leichter.

Wie äußert sich dieses ständige Kräftemessen im Alltag?

Ich habe einmal zwei Brüder kennengelernt, von denen der eine Klavierunterricht nehmen wollte. Das hätte der andere eigentlich auch gern gemacht. Aber aus Trotz und um nicht das Gleiche wie sein Bruder zu machen, entschied er sich stattdessen für Schauspielunterricht. Beide hatten eine Affinität zur Kunst. Heute treten sie gemeinsam auf und machen literarisch-musikalische Programme.

Mündet ein gleicher Chromosomensatz automatisch in gleichen Interessen?

Die Veranlagungen sind einfach die gleichen. Wenn einer in der Lage ist, den Kammerton a zu hören, kann es der andere auch. Hat einer die körperlichen Voraussetzungen zum Leistungssportler, hat sie der andere auch. Darauf bauen sich die Interessen auf. Aber selbst wenn die Veranlagungen sehr ähnlich sind, müssen sie sich nicht auf gleiche Weise äußern. Der eine könnte sich beispielsweise auf die Musik konzentrieren und der andere auf den Sport.

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