socialnet Rezensionen: Case Management in Theorie und Praxis (2024)

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Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Klug, 07.03.2006

Michael Ewers, Doris Schaeffer (Hrsg.): Case Management in Theorie und Praxis.Verlag Hans Huber(Bern, Göttingen, Toronto, Seattle) 2005. 2., ergänzte Auflage. 352Seiten.ISBN978-3-456-84272-1. 28,95 EUR.CH:49,90 sFr.
Reihe: Verlag Hans Huber, Programmbereich Pflege
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Das Thema

Case Management hat sich im deutschsprachigen Raum alsanerkannte Methode im Sozial- und Gesundheitswesen etabliert. Case Managementreagiert auf die Spezialisierung und Zersplitterung der Dienste mit einemKonzept der Fallsteuerung, Patienten- und Ergebnisorientierung.

Das Buch von Ewersund Schaeffer, das einen Einblickin Theorie und Praxis des Case Managements gibt, ist mit gleichem Titel undInhalt in erster Auflage bereits 2000 erschienen. Es findet jetzt eineNeuauflage, die insbesondere um eine aktuelle Literaturauswahl ergänzt wurde.

Die Autoren

Als Herausgeber fungieren Doris Schaeffer, Leiterin des Instituts für Pflegewissenschaft ander Universität Bielefeld, und Michael Ewers, Professor an der Staatlichen FachhochschuleMünchen.

Das Buch enthält neben Beiträgen der HerausgeberAbhandlungen von

  • Ivo Abraham (Klinikprofessor für Pflege),
  • Liesbeth Borgermans (Chefärztin),
  • Elisabeth Fischel (Qualitätsbeauftragte),
  • Alice Grundböck (Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ludwig-Boltzmann-Institut in Wien),
  • Liesbeth Hillewaere (Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Katholischen Universität Leuven),
  • Karl Krajic (Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ludwig-Boltzmann-Institut in Wien),
  • Gerri Lamb (stellvertretende Dekanin für klinische und gemeindebezogene Dienste an der Universität Arizona),
  • Koen Miliseen (Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Katholischen Universität Leuven),
  • Philip Moons (Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Katholischen Universität Leuven),
  • Hans Oostrik (Dozent an der Hoogschool van Arnhem),
  • Jürgen Pelikan (Professor für Soziologie an der Universität Wien),
  • Els Steemann (Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Katholischen Universität Leuven),
  • Bas Steenbergen (Trainer an der Hoogschool van Arnhem),
  • Joan Stempel (Case Managerin),
  • Susanne Stricker (Rotes Kreuz Wien),
  • Christina Tophoven (Leiterin des Referats Versorgungsformen bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Berlin),
  • Steffen Wahler (niedergelassener Arzt)
  • Heidi Waller (Studierende der Gesundheitswissenschaften),
  • Winnie Weicht (stellv. Projektleiterin im Wohnprojekt "Reichenberger Straße 129" in Berlin),
  • Michael T. Wright (Doktorand an der FU Berlin),
  • Karen Zander (Rektorin des Center for Case Management in South Nathick/USA).

Zielgruppe

Schon die Auswahl der Autoren zeigt, dass - entgegen dembreiter angelegten Titel - in erster Linie Theoretiker und Praktiker derPflegewissenschaft angesprochen sind. Aber auch Interessierte an derWeiterentwicklung des Gesundheitswesens in Deutschland könnten zumangesprochenen Leserkreis zählen.

Inhalt

Wegen der Vielzahl der angesprochenen Themen und Artikelkönnen hier nur einige wenige Beiträge aufgegriffen werden.

Der einleitende Artikel der beiden Herausgeber (S. 7-27)setzt sich mit Notwendigkeit, Implementierungsproblemen, derRezeptionsgeschichte (aber auch Rezeptionsproblemen) des Case Managements auseinander. Interessant und durchausdiskussionswürdig ist die gleich zu Beginn vorgelegte Definition von CaseManagement: "Case Management ist eine auf den Einzelfall ausgerichtetediskrete, d.h. von unterschiedlichen Personen und in diversen Settingsanwendbare Methode zur Realisierung von Patientenorientierung undPatientenpartizipation sowie Ergebnisorientierung in komplexen und hochgradigarbeitsteiligen Sozial- und Gesundheitssystemen." (S. 8). Klar arbeitendie beiden Autoren die Entwicklungsdefizite in Wissenschaft und Praxis heraus,so dass insbesondere die folgenden Artikel internationaler Autoren umsodringender zu rezipieren sind.

So werden etwa belgische Entwicklungen imgerontopsychiatrischen Bereichthematisiert (Hillewaere/Moons/Steemann/Miliseen/Borgermans/Abraham,S. 195-216). Zunächst werden die Problemfelder, Herausforderungen undSchlussfolgerungen für das "pflegerische Case Management" genannt.Interessanter als diese weitgehend bekannten und akzeptierten Prinzipien(Anwaltschaft, Versorgungskontinuität etc.) sind die Ergebnisse einerEvaluationsstudie, bei der funktionale, emotionale, kognitive, umwelt- undgesundheitsbezogene Parameter zu verschiedenen Zeitpunkten untersucht wurden.Mit einer Longitudinalanalyse können die Autoren nachweisen, "dasspflegerisches Case Management sich positiv auf wichtige Ergebnisparameter beider Versorgung gerontopsychiatrischer Patienten und ihrer pflegendenAngehörigen auswirken kann." (S. 212)

Der Beitrag zur ambulanten häuslichen Versorgung vonPatienten mit komplexem Betreuungsbedarf (Grundböck/Krajic/Stricker/Pelikan,S. 217-249) in Wien bestätigt ebenfalls diesen positiven Befund - wiederum aufempirische Weise. Allerdings verschweigen die Autoren nicht die sich auspflegerischer Sicht ergebenden erheblichen Probleme, wenn beispielsweiseAngehörige den zugesagten Dienst nicht einhalten können, sich selbstüberfordern oder gar nicht kooperieren (S. 239). Bemerkenswert ist dasEvaluationsergebnis der Bewertung des Case Managements durch die Ärzte. Dieüberwältigend positive Rückmeldung sollte zu denken geben: Case Manager werdenvon den Ärzten als professionelle Leistungserbringer und kompetente Partnerbetrachtet und keineswegs (mehr?) als Hilfskräfte ärztlicher Versorgung (S.242f).

Ein herausragenden Teil des Buches widmet sichUS-amerikanischen Theorien und ihrer Praxis. Dies ist kein Zufall, denn die USAsind die "Heimat" des Case Managements.

Großer Gewinn lässt sich aus dem Artikel von MichaelEwers ziehen (Das anglo-amerikanischeCase Management: Konzeptionelle und methodische Grundlagen, S.53-90). Schon die vorgelegte Definition von Case Management stellt einenwichtigen Beitrag zur Klärung dar. Ewersdefiniert: "Kurz gefasst besteht das Proprium desanglo-amerikanischen Case Management darin, dass es in Anlehnung an dieZielvorstellung einer kontinuierlichen und integrierten Versorgung (continuumof care) die zeitlichen und räumlichen Dimensionen des Versorgungsgeschehensüberbrückt und insofern auf zentrale Herausforderungen in komplexen undhochgradig arbeitsteiligen Sozial- und Gesundheitssystemen reagiert" (S.54). Interessant, aber hier nicht weiter zu diskutieren, ist, wie sich dieseDefinition zu der vom Autor in seiner Rolle als Herausgeber vorgelegten undoben zitierten Definition verhält. Es ist die Stärke des Beitrages, dass erkurz und kompakt die wichtigsten US-amerikanischen Konzepte von Case Managementund ihre Funktionen zusammenfasst und so dem Leser einen ebenso informativenwie unverzichtbaren Überblick über das Mutterland des Case Managements gibt.

Karen Zanderreferiert in ihrem Beitrag "Case Management und Ergebnisorientierung:Auswirkungen auf die US-amerikanische Pflege" (S. 179-193)ausführlich die Pflegerichtlinien der American Nurses Association von 1997 undsetzt sie dem traditionellen Verständnis von Pflege entgegen. So wird imCase-Management-Verständnis beispielsweise gefordert:

  • Spezifizieren der erwarteten Outcomes individuell für jeden Klienten
  • Ableitung der Outcomes aus den Diagnosen
  • Dokumentieren der Outcomes als messbare Zielsetzung
  • Outcomes zusammen mit dem Klienten und den Leistungserbringern definieren
  • Outcomes in realistischer Relation zu den aktuellen Möglichkeiten des Klienten
  • Outcomes im Hinblick auf die Ressourcen des Klienten
  • Festlegen des Zeitrahmens
  • Orientierung in Richtung Kontinuität (S. 184)

Schon diese wenigen Punkte zeigen den Paradigmenwechsel auf,der mit Case Management in die Pflege Einzug halten würde. In diesem Sinne istCase Management in der Tat mehr als nur eine Ablauflogik von festgelegtenSchritten.

Michael T. Wrightsetzt sich in seinem Artikel "Case Management und "Advocacy":Erfahrungen aus der US-amerikanischen Sozialarbeit für Menschen mit HIV undAids" (S. 145-159) u.a. mit dem Stellenwert von"Advocacy" in den USA auseinander. Zunächst legt auch er eine eigeneDefinition von Case Management vor. Sie lautet: Case Management ist "…ein kooperativer Prozess, in welchem unter Rückgriff auf Kommunikation undvorhandene Ressourcen Versorgungsoptionen und benötigte Versorgungsleistungenerhoben, geplant, implementiert, koordiniert, beobachtet und evaluiert werden,um so den gesundheitsrelevanten Bedarf eines Individuums zu decken, dieQualität des Versorgungsgeschehens zu erhöhen und kostenwirksame Ergebnisse zuerzielen (CCMC-Commission for Case Manager Certification 1996)." (S. 149).Anhand von zahlreichen Fallbeispielen stellt der Autor den zentralenStellenwert der "Anwaltschaft" und der Verantwortung des CaseManagers für die Verbesserung der Lebensverhältnisse heraus. Damitunterstreicht er, dass es Pflicht von Case Managern ist, sich "für dieÄnderung der von ihnen als unzureichend erkannten Lebensverhältnisse ihrerKlienten" einzusetzen und sich somit auch der sozialpolitischenVerantwortung zu stellen" (S. 151).

Ein letzter Artikel soll hier Erwähnung finden. SteffenWahler und Heidi Waller stellen im Beitrag "Fallmanagementals innovative Dienstleistung eines Ärztenetzes" (S. 291-306)Case Management in den Kontext der hausärztlichen Versorgung. Dabei betonensie: "Hausärzte haben bereits Verantwortung für die Steuerung vonGesundheitsprozessen übernommen und sich in der Rolle des Case bzw.Fallmanagers positioniert. Um dem Ausdruck zu verleihen, wird für den Hausarztvon Seiten des Berufsverband der Deutschen Allgemeinärzte (BDA) in der neuerenDiskussion immer häufiger auch die Bezeichnung "Lotse im System" gebraucht." (S. 292). Es ist sicher nicht generellunbillig, einen Artikel zu benutzen, um die Interessen eines Berufsstandes zuvertreten. Allerdings erscheint es selbst im Kontext eines sehr weit gefasstenBegriffes von Case Management schwer nachvollziehbar, wenn die Autoren, um ihreThese zu untermauern, dass Hausärzte eigentlich immer schon Case Manager sind,sich eine Definition zurechtlegen, die zumindest mit der allgemeingebräuchlichen nichts mehr zu tun hat. Sie postulieren: "Fallmanagement,verstanden als aktiver Eingriff in den Behandlungsverlauf des einzelnenPatienten, geschieht heute im Prinzip nur durch den behandelnden Arzt oder denMedizinischen Dienst der Krankenkassen." (S. 295) Das Mindeste, was manvon Autoren eines wissenschaftlichen Werkes erwarten müsste, ist, dass sieLobbypolitik von wissenschaftlicher Analyse trennen.

Diskussion

Es wäre eine lohnende Aufgabe, die verschiedenen in deneinzelnen Artikeln benutzen Definitionen, von denen in dieser Rezension nureinige wenige Platz finden konnten, zu vergleichen und mit anderen vorgelegtenDiskussionen zu konfrontieren. Vielleicht könnten dies die Herausgeber in einernächsten Auflage versuchen?!

Wie oft bei Herausgeberwerken ist die Qualität der einzelnenBeiträge sehr unterschiedlich, sie reicht von exzellent bis ärgerlich. Auchhier wäre möglicherweise eine stärker ordnende Hand der Herausgeber sinnvoll.

Sehr verdienstvoll ist das ausführliche Literaturverzeichnisam Ende des Buches, das es dem Leser erlaubt, je nach Fachgebiet die relevanteCase-Management-Literatur zu finden. Dieser wirklich äußerst praktikable Anhangmag darüber hinweg helfen, dass die einzelnen Literaturverzeichnisse derAutoren offenkundig nicht dem neuesten Stand angepasst wurden.

Insgesamt ist das Buch sehr lohnend für die Leser, die sichmit Case Management im Allgemeinen und mit Case Management im Pflege- undGesundheitsbereich im Besonderen auseinandersetzen wollen.

Fazit

Insgesamt wird ein umfassender Einblick in den gegenwärtigenEntwicklungsstand des Case Managements in Deutschland und internationalgegeben. Insbesondere die Informationen der Entwicklung in verschiedenenLändern macht das Buch zu einem wertvollen Kompendium derCase-Management-Wissenschaft.

Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Klug
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Fakultät Soziale Arbeit
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Es gibt 53 Rezensionen von Wolfgang Klug.

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Zitiervorschlag
Wolfgang Klug. Rezension vom 07.03.2006 zu:Michael Ewers, Doris Schaeffer (Hrsg.): Case Management in Theorie und Praxis. Verlag Hans Huber(Bern, Göttingen, Toronto, Seattle) 2005. 2., ergänzte Auflage.ISBN978-3-456-84272-1.Reihe: Verlag Hans Huber, Programmbereich Pflege.In: socialnet Rezensionen, ISSN2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/3318.php, Datum des Zugriffs 08.08.2022.

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Author: Pres. Lawanda Wiegand

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Name: Pres. Lawanda Wiegand

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